Im Rückblick haben wir gut daran getan, die ganze Tour nicht exakt zu planen sondern nur einen Fahrplan aufzustellen, der flexibel ist und jederzeit geändert werden kann. Vieles war vom Wetter abhängig, das bekanntermaßen in Norwegen einem schnellen Wechsel unterliegen kann. So war es dann auch, was uns veranlasste, die geplante Etappe auf der Küstenstraße 17 Richtung Trondheim zu ändern und einen Tag früher wieder ins Landesinnere zu fahren. Regen am Fjord kann zermürben, dazu noch Nässe auf neu asphaltierten Abschnitten, mit denen zu dieser Jahreszeit praktisch überall zu rechnen ist, die die Fahrbahn sehr glatt macht. Auf zwei Rädern ist das ein weniger großes Vergnügen. Dazu hängen die Wolken dann auch sehr tief, man fährt ständig mit eingezogenem Kopf…
Die zweite Änderung erfolgte auf dem Weg zum Geirangerfjord, den wir dann doch nicht anfuhren. Erstens wegen des Dauerregens in dieser Region, zweitens den sehr niedrigen Temperaturen und drittens, wie uns eine nette Norwegerin glaubhaft versicherte, wegen des touristischen Rummels dort, der mittlerweile überhand nimmt. Aber den Trollstiegen haben wir mitgenommen, der wirklich eine phantastische Aussicht – speziell bei der Abfahrt – bot. Zwar stand oben auch der Kommerz im Mittelpunkt, jedoch hatte ich wegen der vielen Motorradfahrer und auch Radfahrer den Eindruck, dass man auch aus anderen Gründen als „Muss man gewesen sein“ dort die 405 Meter durch elf Haarnadelkurven hoch fährt.
Die dritte Änderung erfolgte hinsichtlich des Rückwegs. An dieser Stelle gebe ich zu, bei der Planung die Fahrten mit Fähren minimiert zu haben, weil ich einige Male schlechte Erfahrungen gemacht habe. Deswegen sollte es auch über die Öresundbrücke gehen. Da aber, so die Erfahrung auf der Reise, kein merklicher Seegang auftrat und ich sogar während der Fahrt feste Nahrung zu mir nehmen konnte, ging es dann an der Ostsee noch zweimal auf eine Fähre.
Weiterhin gebe ich zu, während der Tour nicht alles an Erlebnissen in den Berichten geschildert zu haben, was vielleicht zu Irritation oder gar Befürchtungen Anlass hätte geben können. Dazu gehörten manche Begegnungen mit Wohnmobilen, die sich viele Norweger kaufen, wenn sie nicht mehr in der Lage sind ein normales Auto zu fahren. Das hat mir ein Norweger gesagt! Manchmal prangte auch ein deutsches Kennzeichen an einem der genau in der Mitte der Straße entgegenkommenden Fahrzeuge. Aber wir sind ja immer sehr vorsichtig und vorausschauend gefahren.
Ich glaube irgendwann die Bushaltestellen am Straßenrand erwähnt zu haben, die in den teilweise sehr einsamen Landstrichen – wir sind tatsächlich mal gut 100 km gefahren ohne jemandem zu begegnen – ein Indiz waren, dass in der Nähe Menschen lebten. In den baltischen Staaten war das anders. Dort saßen an den Bushaltestellen meistens Damen, deren Outfit darauf schließen ließ, dass sie eher nicht auf den Bus warteten. Ich vermute mal, dass der Weg Litauens und Lettlands hin zu Europa noch etwas weiter ist als der von Estland. Vieles von dem, was wir dort gesehen haben, deutete darauf hin, aber auch die Aktivitäten zur Verbesserung der Infrastruktur und der ersichtlichen Baumaßnahmen, mit denen man in Estland ganz offensichtlich Jahre früher begonnen hat, zeigten, dass Europa in der Gemeinschaft viel zum Positiven verändern kann. Da verstehe einer die Briten.
In Polen ist mir aufgefallen, dass die Politik Jarosław Kaczyńskis hinsichtlich der europäischen Ausrichtung durchschlagenden Erfolg hat. Jedes Gespräch mit Polen, denen wir begegnet sind und mit denen wir uns unterhalten haben ist genau an dem Punkt zu Ende, wenn man über eine gemeinsame Währung und eine gemeinsame Zukunft Polens sprechen will. Irgendwie habe ich auch jetzt noch das Gefühl, dass es besser ist nicht zu schreiben, wann und wo wir diese Gespräche hatten – man könnte ja jemanden in Schwierigkeiten bringen. In der Vergangenheit hatte ich in Polen schon einmal ein besseres Gefühl. Trotzdem oder gerade deswegen: Nichts wie hin in das wunderschöne Masuren und dieser anti-europäischen Haltung entgegen wirken!
Zum Abschluß noch ein Ereignis, das uns betroffen gemacht hat. Bei einer Kaffeepause an einer Tankstelle trafen wir auf eine Gruppe Biker aus Finnland, die in die Richtung wollten, aus der wir kamen. Sie wollten sich auf das Regenwetter in Norwegen vorbereiten und zogen ihre Regenkombis an. Einer von ihnen, wohl der älteste mit geschätzt knapp über 70 Jahren, zog einen Überschuh für den rechten Stiefel an, den er etwas höher auf eine Bank gestellt hat. Auf einmal kippte er nach rechts um und sagte etwas, das wie „Prothese“ klang. Dann lag er da und rührte sich nicht, blieb aber ganz ruhig und sagte nur immer dieses Wort. Seine Begleiter kamen auch sofort und erklärten uns, dass er eine Hüftprothese habe. Wegen der Fußstellung ist wohl der Kopf aus der Pfanne gesprungen und es gab kein Halten mehr. Sofort kümmerte man sich um eine Ambulanz, die ihn ins nächste Krankenhaus bringen sollte. Selber einrenken ist wohl bei einer Luxation nicht so angesagt. Da wir nicht helfen konnte fuhren wir weiter, nach etlichen Kilometern kam uns dann der Krankenwagen mit Blaulicht entgegen. Der arme Kerl hat bestimmt fast eine Stunde im Regen auf dem Boden gelegen und auf ärztliche Hilfe gewartet.
So, genug der nicht so schönen Erlebnisse. Zum Schluss noch die Feststellung, dass jeder Blick in den Rückspiegel unterwegs ein vollkommen anderes Bild als das vor uns liegende zeigte. Man könnte die Tour auch noch einmal anders herum fahren, diesmal mit Geiranger, ohne Nordkap, mit Lofoten und Schweden und vielleicht mehr Fähre statt Autobahn.
Mal sehen…