In Chemnitz beginnt die Müllabfuhr sehr früh mit der Arbeit. Selbst im vierten Stock hört man das, besonders bei offenem Dachfenster. Aber man will ja nicht meckern. Im Alter braucht man ohnehin weniger Schlaf.
Nach ordentlichem Frühstück packten wir unsere Sachen auf die Motorräder und hätten fast vergessen zu zahlen. Die freundliche Chefin erinnerte uns aber daran. Ich habe mich dann noch recht lange über die Veränderung der Innenstadt seit 1993 unterhalten. Wie vermutet traf der architektonische Ansatz nicht überall auf Gegenliebe. Besonders schlimm fand ich, dass das kleine Uhrengeschäft an der Ecke gegenüber dem Rathaus einem der Glaspaläste weichen musste. Es führte seinerzeit wunderbare Uhren von Union Glashütte. Beim gestrigen Spaziergang haben wir dessen Nachfolger gefunden. Eine Uhr mit Handaufzug gefiel mir so gut, dass ich heute nach dem Preis fragen wollte. Aus familiären Gründen habe ich dann doch darauf verzichtet und mir stattdessen bei Louis eine Flasche Öl für den Scottoiler gekauft. Jetzt strahlt und glänzt zumindest die Kette wieder vor Freude. Aber wenn ich mal zu viel Geld kommen sollte…
Die ersten 60 Kilometer zu unserem heutigen Ziel legten wir auf der Autobahn zurück, anschließend ging es über Land. Wir passierten Gera, Jena, Weimar und Erfurt. Vom kulturellen Angebot machten wir jedoch keinen Gebrauch. Bemerkenswert war indes, dass die Universitätsstädte wesentlich frischer und dynamischer wirkten als die anderen. Das ist mir aber vor Jahren schon in Greifswald aufgefallen. Ursache ist sicherlich nicht das Bildungsniveau, vielmehr sind es die überwiegend jungen Leute, die sich auf den Straßen aufhalten.
Vor Erfurt machten wir eine Mittagspause an einer Imbisshütte in Nohra. Es war ein sehr interessanter Stopp – nicht nur wegen der leckeren Currywurst mit Pommes. Die Betreiber waren sehr nette Leute und einfach freundlich, nicht aufgesetzt und kommerziell interessiert sondern aus Prinzip. Schnell kamen wir ins Gespräch und uns wurden Informationen über die Geschichte des Grundstücks, auf dem die Imbisshütte und das dazugehörige Gebäude stand, aus erster Hand gegeben. Dort wurde vor der Machtergreifung der Nazis 1933 das erste Konzentrationslager eingerichtet, allerdings noch mit einer vollkommen anderen Bedeutung des Wortes. In diesem Lager wurden Gegner der Nationalsozialisten, allesamt Mitglieder der KPD, in Schutzhaft genommen, um zu verhindern, dass sie im Wahlkampf Front gegen die NSDAP machen konnte. Nichtsdestotrotz behielten sie das Wahlrecht, das sie auch in Obhut der Nazis ausüben durften. In diesem Wahlbezirk hatte die KPD die deutliche Mehrheit, was aber den Siegeszug der nationalistischen Wirrköpfe nicht verhindern konnte. Parallelen zu heute? Mag jeder selber für sich entscheiden. Was wir gelernt haben: wehret den Anfängen!
Bei weiterhin schönem Wetter fuhren wir nach Hessen und konnten auf den letzten 60 Kilometern noch die B7 genießen, die mit vielen Windungen in Richtung Melsungen führte. Nach Dusche und Anlegen der Zivilkleidung ging es zum Jugoslawen um die Ecke, wo das gute Essen mit einem Pflaumenschnaps auf Kosten des Hauses endete.
Von Sachsen bis Hessen sind wir heute 304 Kilometer gefahren.